Der knarzende Sessel

Mittwoch, 4. Oktober:
Auf dem Klingelschild steht kein Name. Und es dauert einige Zeit, bis sie die Tür öffnet. Aber ich bin richtig. Am Tag vorher habe ich angerufen, ob ich sie einmal besuchen darf. Sie hat gesagt: Wann immer Sie wollen. Ich bin ja da.
Im Wohnzimmer lodert ein kleines Feuer in einem Bollerofen. Sie braucht es etwas wärmer, sagt sie, weil sie sich nicht mehr so gut bewegen kann. So geht es mir auch, wenn ich am Schreibtisch sitze, sage ich. Sie nickt verständnisvoll. Ich darf in einem geblümten Polstersessel Platz nehmen. Alt ist er, und er gefällt mir von Anfang an. Der Sessel ist schön, sage ich. Ja, sagt sie, schön ist er, aber ich weiß nicht, warum er immer knarzt.
Wir sitzen uns gegenüber und unterhalten uns. Über ihr Leben und über mein Leben. Über die Zeiten der Entbehrungen und die Zeiten des Reichtums. Über unsere Familien. Über Arbeit und Mußestunden.
Ab und zu kommt eine von den Nachbarinnen mit einem Kuchen vorbei, sagt sie. Dann sitzen sie bei gutem Wetter vor dem Haus und bei schlechtem Wetter im Haus, essen gemeinsam und plaudern. Heute bin ich vorbeigekommen. Ohne Kuchen. Trotzdem sagt sie: Es war schön, dass Sie da waren.
Ich denke an den Polstersessel. Er ist in die Jahre gekommen. Wie die Frau, der er gehört. Er knarzt. Und er ist voller Blumen.

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